Goiserer Sagen

Rätsel vom Michel Hallbach

Unterhalb der vorderen Sanling-Alpe, an den Südabhängen davon, rechts auf der Ausseer Seite des Baches ist ein hoher Felsblock zu sehen, turmartig, in kurzem Abstand von einer etwas höher gelegenen Felswand.

Beim Anblick des­sel­ben drängt sich sofort der Gedan­ke auf: die­ser Fels­block ist einst ein Bestand­teil der Fels­wand gewe­sen, er ist in sei­ner gan­zen Grö­ße von der­sel­ben weg­ge­rutscht, ohne daß er dabei sei­ne Lage ver­än­dert hät­te. Bei der „Unsin­ni­gen Kira“ ist die­se Stät­te benannt. Das Dia­lekt­wort „Kira“ (in dem das i rein als sol­ches aus­ge­spro­chen wird) ist auf zwei­er­lei Din­ge anwend­bar: sowohl auf eine Kir­che, als auf einen stark her­vor­ge­preß­ten Schrei. Für bei­de Fäl­le hat das Dia­lekt­wort glei­chen Ton, glei­chen Laut, unun­ter­scheid­bar. Nur daß man bei Kir­che sagt: „a Kira“ beim Schrei „an Kira“.

Nun geht die Sage, daß es an der betref­fen­den Stät­te vor alten Zei­ten, ja es wur­de sogar auch das Jah­re 1560 genannt, einen Nie­der­gang des Ter­rains gege­ben habe, wodurch die Berg­stol­len, die damals bestan­den haben, voll­kom­men ver­schüt­tet wor­den wären. Eine grö­ße­re Zahl von Berg­ar­bei­tern sei dabei im Innern ein­ge­schlos­sen wor­den und habe dadurch zugrun­de gehen müs­sen. Die Frau­en und Ange­hö­ri­gen der­sel­ben, als sie am Unglücks­platz ein­tra­fen, hät­ten vor Schre­cken und Ent­set­zen einen furcht­ba­ren Schrei aus­ge­stos­sen, einen „unsin­ni­gen Kira“. Davon käme der Name, die Orts­be­zeich­nung her.

Nun ste­hen die Tat­sa­chen aber so, daß ein grö­ße­rer Unglücks­fall, eine Berg­ka­ta­stro­phe urkun­den­mäs­sig nicht fest­stell­bar ist. Schraml hat in sei­ner „Geschich­te des ober­ös­ter­rei­chi­schen Sali­nen­we­sens“ dar­ge­tan, allen auf Grund urkund­li­cher Quel­len, daß zu Beginn des 16. Jahr­hun­derts  ein Berg­bau am Michel Hall­bach bestan­den hat, zuerst in klei­nem Umfang. Sei­ner Ansicht nach reicht der Bestand die­se Berg­bau­es in das 15. Jahr­hun­dert zurück. Von den Vier­zi­ger­jah­ren bis in die Fünf­zi­ger­jah­re des 16. Jahr­hun­derts ist der Berg­bau in dem guten Salz­la­ger des Sand­lings ste­tig vor­ge­schrit­ten, dann aber, 1556, plötz­lich vom Hall­amt in Aus­see ein­ge­stellt wor­den und zwar aus Erspa­rungs­grün­den, nicht etwa in Fol­ge einer Natur­ka­ta­stro­phe. 1560 ist der Berg nicht mehr in Betrieb gestan­den, es wur­de nur noch jah­re­lang die sich bil­den­de wil­de Sole durch die wei­ter bestan­de­ne Sole­lei­tung in Aus­see benützt und ver­sot­ten. Die Stol­len ver­fie­len.

In geschicht­li­cher Zeit hat also gar kei­ne Berg­ka­ta­stro­phe irgend grö­ße­ren Umfan­ges statt­ge­fun­den. Ob vor dem 15. Jahr­hun­dert am Michel Hall­bach auf Salz gebaut wor­den ist, kann nie­mand sagen, es ist dies in völ­li­ges Dun­kel gehüllt. Wenn auch der Name Pfann­haus­al­pe mit Sicher­heit dar­auf schlie­ßen läßt, daß an jener Stel­le einst Salz gesot­ten wur­de, ist doch damit noch lan­ge nicht bewie­sen, daß es einen Berg­bau gege­ben haben muß, denn es kann sich auch um das Ver­sie­den wil­der Sole gehan­delt haben.

Abge­se­hen von dem Umstand, als his­to­risch ein bedeu­ten­der Berg­sturz am Michel Hall­bach nicht nach­weis­bar ist, erscheint die Annah­me, daß aus einem wil­den Schrei des Ent­set­zens, einem „Kira“, der nichts Blei­ben­des dar­stellt und gleich ver­klun­gen ist, eine Orts­be­zeich­nung ent­stan­den wäre, unwahr­schein­lich. Das Natür­li­che wäre gewe­sen, daß die Unglück­stät­te als sol­che ihre irgend­wel­che Bezeich­nung gefun­den hät­te. Es stellt sonst einen ein­zig­ar­ti­gen und schwer denk­ba­ren Fall dar, daß der Ort eines Ereig­nis­ses nach einem Schre­ckens­schrei benannt wor­den wäre.

Aus all die­sen Erwä­gun­gen erscheint die Benen­nung der Ört­lich­keit als „Unsin­ni­ge Kira“ (Unsin­ni­ge Kir­che) von alters her als bei Wei­tem wahr­schein­li­cher. Unsin­ni­ge Kir­che bedeu­tet einen Ort, wo es im bösen Sin­ne geis­tert. Teu­fels­kir­che ist ganz was ähn­li­ches, und Orte die­ses Namens gibt es ja sehr häu­fig. Die gan­ze Lage und das Aus­se­hen des Fels­tur­mes am Michel Hall­bach las­sen die Ent­ste­hung eines sol­chen Namens als gar nicht wun­der­lich erschei­nen.

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